Gruppenanalyse
Therapeutische Gruppen / Deutungs- und Kreativwerkstätten / Work Discussion Groups
„Die Gruppenanalyse betrachtet die soziale Natur des Menschen als etwas Grundlegendes. Sie sieht das Individuum als Ergebnis von Gemeinschaftsentwicklung an, so, wie die Psychoanalyse die Einzelpersönlichkeit als Produkt der Familie betrachtet […]. In der Gruppenpsychotherapie wird die Gruppe als beispielhafte Repräsentation der umgebenden Gemeinschaft und ihrer Kultur zum erstenmal selbst ins Sprechzimmer zu aktiven Mitarbeit in der Behandlung gebeten.“ S. H Foulkes
Gruppenpsychoanalyse, kurz Gruppenanalyse, ist Psychoanalyse im sozialen Kontext einer Gruppe. Der Fokus der Gruppenanalyse liegt auf Interaktion. Wie denken, empfinden, agieren und reagieren wir im Beisein anderer? Wie erleben wir andere Menschen und diese uns? Wir alle sind Teil unterschiedlicher Gruppierungen, die sich teils differenzieren und teils überschneiden: das familiäre, schulische oder berufliche Umfeld, Interessen- oder politische Gruppen und so fort. Im Kontext einer Gruppenanalyse wird sich unser Erleben und Verhalten in Gruppen widerspiegeln und kann so im geschützten Rahmen reflektiert werden. Einzelne Menschen können nicht isoliert für sich betrachtet werden, wir bewegen uns in einem Kommunikationsnetzwerk in der die Werte, Normen und Symptome einer Gruppe eingeschrieben sind – von S. H. Foulks als psychische Matrix bezeichnet. In dieser existiert eine Basis von unbewussten, gegenseitigen Verständnis und dem Wunsch nach Beziehung. Das Individuum stellt einen Knotenpunkt in diesem Netzwerk dar.
Daraus erfolgen die unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten der Gruppenanalyse, in therapeutischen wie auch in beruflichen, wissenschaftlichen, künstlerischen und weiteren Feldern.
Therapeutische Gruppen: Im dynamischen Prozess zwischen den einzelnen Gruppenteilnehmern lernen wir von den anderen und erleben uns in der Interaktion. Ziel ist Selbsterkenntnis und persönliche Entwicklung, Einsicht in eigene Handlungen, Emotionen, Gedanken, Probleme, Ambivalenzen und Hemmungen. Alles kann zur Sprache kommen: persönliche Probleme, spontane Einfälle, Träume, Phantasien und Empfindungen. Im Prozess initiieren die Gruppenmitglieder wechselseitig Übertragungen früherer wesentlicher Bindungen und Konfliktsituationen, die auf diese Weise sichtbar und reflektierbar werden. Die Gruppe wird so zum Ort in dem individuelle Lebensgeschichten verarbeitet sowie Reaktions- und Verhaltensweisen in der zwischenmenschlichen Begegnung erlebt und bearbeitet werden können. S. H. Foulkes, einer der maßgeblichen Gründer der Gruppenanalyse schrieb: „Gruppenpsychotherapie basiert auf der Überzeugung, daß Neurosen und andere psychische Störungen in Wahrheit multipersonale Phänomene sind. Das eigentliche Behandlungsobjekt ist das multipersonale Netzwerk von Kommunikationen und Störungen.“
Gruppenpsychoanalyse findet wöchentlich, in einer kleinen Gruppe bis zu acht Teilnehmer statt. Bei Bedarf – z. B. für Selbsterfahrung im Propädeutikum oder Ausbildung – sind auch Wochenendgruppen möglich, bei denen sich die Gruppe zu mehreren Sitzungen pro Tag trifft. Der regelmässige Rahmen und die Verschwiegenheitspflicht schaffen den geschützten Raum in dem sich der gruppenanalytische Prozess entfalten kann.
Deutungs- und Kreativwerkstätten: Diese Anwendungen der Gruppenanalyse richten sich an StudentInnen, VertreterInnen der Kultur- und Sozialwissenschaften, Human- und Geisteswissenschaften, LiteratenInnen, KünstlerInnen und an alle die Forschungsmaterial, literarisches oder künstlerisches Werk tiefenhermeneutisch ergründen wollen.
Im Zentrum der Deutungswerkstatt steht das Unbewusste in kulturellen Prozessen. Anhand des Forschungsmaterials aus dem Feld – Gesprächsprotokolle und Tagebuchausschnitte – und andere Quellen die in die Deutungswerkstatt eingebracht werden, überlassen sich die TeilnehmerInnen ihren freien Assoziationen und versuchen gemeinsam verborgene Bedeutungen im präsentierten Material, die im Feld oder Werk enthaltene unbewusste Dynamik anhand von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand zu erfassen. Der Forschungsprozess findet hierbei im intersubjektiven Raum statt. Die eigenen Wahrnehmungen werden ernst genommen und werden zur Grundlage für das Verständnis des Anderen. Die eigene Verstrickung im Feld soll im Zuge des Erkenntnisprozesses nicht überwunden, sondern übersetzt werden.
Gleiches gilt für Kreativwerkstätten, in denen künstlerische Werke und Schaffensprozesse in Hinblick auf ihre unbewusste Dynamik und latent vorhandenen Inhalte untersucht werden. Kreativwerkstätten dienen dem kreativen Austausch, helfen Einblick zu bekommen in den eigenen Antrieb zum künstlerischen Ausdruck.
Unterschiedliche, sich ergänzende psychoanalytische Ansätze beschreiben die angeborene, primäre Kreativität, die durch Zuwendung im Säuglings- und Kinderalter gefördert wird, den kreativen Akt als Bestreben ein kohärentes Selbst zu schaffen, Kreativität als Anpassung des Selbst an die Realität und der Realität an das Selbst, Kreativität und Neugier als konstruktive Ich-Funktionen, Kreativität als schöpferische Sublimierung menschlicher Triebe und somit als eine Kulturleistung. All diese Zugänge sind parallel für sich richtig und doch wird der Drang sich kreativ auszudrücken individuell unterschiedliche Beweggründe haben, aus Freude oder Leid, aus Mangel oder Überfluss, als introvertierter oder extrovertierter Ausdruck. Im Rahmen einer Kreativwerkstatt versuchen wir gemeinsam zu ergründen, was uns bewegt, motiviert oder auch hemmt uns künstlerisch auszudrücken.
Work Discussion Groups: Das gruppenanalytische Setting kommt auch im Arbeits- und Beratungskontext zum Einsatz. Work Discussion Groups basieren auf dem Modell der Balint-Gruppe – von Michael Balint am Londoner Tavistock Institute entwickelt – das ursprünglich in Krankenhäusern zum Einsatz kam, wo Ärzte gemeinsam ihre Arbeit reflektierten. Mittlerweile wird diese Methode bei verschiedensten Berufsgruppen angewandt wie auch bei Team- und Organisationsentwicklung sowie Supervision und Coaching.
Ein wesentliches Ziel der Work Discussion Group ist es, die verborgenen zwischenmenschlichen Beziehungsaspekte der in einem Unternehmen oder einer Organisation handelten Personen sichtbar zu machen. Wenn Konflikte und andere Beziehungsdynamiken in ihrer meist unbewussten Bedeutung erkannt werden, können diese bewältigt oder auch nutzbar gemacht werden.
Work Discussion Groups können in Unternehmen auf verschiedenen hierarchischen Ebenen stattfinden. Zielsetzung können die Reflexion von Führungsaufgaben und Führungsstil sein, Aufgaben und Aufgabenverteilung in Teams, die Ausarbeitung von Unternehmenszielen oder der Corporate Identity, mit den zugehörigen Bereichen der geplanten und operativen Selbstdarstellung sowie dem Verhalten als Unternehmen und der Kommunikation nach innen und aussen.
Im Kontext von Supervision, vor allem im sozialen und pädagogischen Bereich, dient die Balint-Gruppen-Arbeit auch der Psychohygiene. Im gruppenanalytischen Setting bemühen wir uns um ein tieferes Verständnis von gruppendynamischen Prozessen, die sich unwillkürlich in pflegenden und lehrenden Berufen einstellen. In der Sozialarbeit und in Krankenhäusern dient das Personal oft als Projektionsfläche, auf die Klienten ihre schwer aushaltbaren Konflikte auslagern. Auch umgekehrt ist oft zu beobachten, dass sich Spannungen im Team z. B. in der therapeutischen Arbeit bei Klienten widerspiegeln. Diese Prozesse sichtbar zu machen und Wege zu finden mit ihnen umzugehen, ist Teil der Arbeit von Work Discussion Groups.